Frischer Blick auf die Hamelner Stadtgeschichte

Sie ist verstaubt und in weiten Teilen lückenhaft, die Geschichte der Stadt Hameln. Nun will die Stadt ihre Historie neu schreiben. Oberbürgermeister Claudio Griese sieht dafür gute Gründe, denn eine kompetent aufbereitete Stadtgeschichte diene auch als Imagefaktor.

 „In Zeiten der scheinbaren Gleichförmigkeit von Innenstädten bieten unverwechselbare, historisch gewachsene Besonderheiten enormes Potential für den Tourismus und das Stadtmarketing“, sagt der Rathauschef. Diesen Schatz wolle die Stadt nun heben.

Mit der Aufgabe hat er eine ausgewiesene Fachfrau betraut: Dr. Gesa Snell, Volkskundlerin und Historikerin, verfügt über ein breitgefächertes Wissen zur Hamelner Geschichte und ist bereits tief in das neue Themenfeld eingestiegen. „Wir freuen uns, eine Wissenschaftlerin in unseren Reihen zu haben, die für die neue Aufgabe die besten Voraussetzungen mitbringt“, freut sich Griese. 

Wer sich mit der Geschichte Hamelns beschäftigt, kennt „den Spanuth“. Namensgeber Heinrich Spanuth verfasste in den 1930er Jahren, zusammen mit Wissenschaftlern und begeisterten Laien, ein Buch über die Geschichte Hamelns von der Steinzeit bis in die neueste Zeit. Der erste Band erschien zwischen 1939 und 1940, also in den Anfangsjahren des Zweiten Weltkriegs. Er beschrieb die Zeit bis zum Ende des Mittelalters.

Nur – die Ideologie der NS-Zeit habe sowohl die Sprache als auch die ausgewählten Themen der Darstellung geprägt, konstatiert Dr. Gesa Snell. Die Besiedlung der Hamelner Region werde im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie gedeutet, wenn es heißt: Schon früh „war unser herrliches Land von einem Netz von Ansiedlungen überzogen, hinter denen rassisch und kulturell fassbare Völker standen, Menschen von hoher Eigenkultur und geprägtem Eigenleben. Dieses völkische ursprüngliche Leben aber ist nicht irgendwann abgerissen, sondern hat sich auf dem bewahrenden, nährenden Boden der Heimat fortgepflanzt, um so in ‚Geschichte‘ und Gegenwart einzumünden.“ Diese Abschnitte gingen unverändert in die 1983 erschienene neue Auflage ein.

Nach der kriegsbedingten Pause kam zwischen 1955 und 1964 der zweite Spanuth-Band heraus. Die Beteiligten waren nun schon recht betagt, Spanuth starb 1958. Der Archivar Dr. Rudolf Feige übernahm das große Projekt, doch konnte er die Zeit zwischen 1918 und 1960 nur noch als Liste mit Stichworten darstellen. Fritz Seifert, bekannter Hamelner Kulturförderer und Eigentümer der gleichnamigen Bücherstube, brachte 1983 noch einmal die beiden unveränderten Bände heraus. Er hatte sie um eine Stichwortliste zu den Ereignissen zwischen 1961 und 1980 ergänzt.

Aber nicht nur aufgrund des ideologisch geprägten ersten Teils, der äußerst knappen Darstellung der Ereignisse zwischen 1918 und 1980 und dem Fehlen der Beschreibung der letzten 30 Jahre – in denen zum Beispiel solch fundamentale Veränderungen wie die Altstadtsanierung stattfanden – kann „der Spanuth“ heute nach Einschätzung von Dr. Gesa Snell „nicht mehr überzeugen“. Die Geschichtswissenschaft habe sich in den letzten fünf Jahrzehnten deutlich weiterentwickelt. Heute stünden beispielsweise Fragen zur Migration, zur Sozialgeschichte und zur Umweltgeschichte im Mittelpunkt historischer Forschung. „Glücklicherweise haben heimische Fachleute und Interessierte in den letzten Jahren wichtige Arbeiten zur Hamelner Stadtgeschichte geschrieben“, so Snell. Doch es fehle die chronologische, fachlich angelegte Gesamtdarstellung der Entwicklung der Weserstadt.

Die Voraussetzungen für einen Neustart in der Stadtgeschichte seien exzellent. „Die heutigen digitalen Recherchemöglichkeiten bieten Zugang zu einer deutlich größeren Zahl von Urkunden und Archivalien als in der Zeit der Entstehung des ‚Spanuth‘“, sagt Snell. So könne jetzt auch auf die Bestände europäischer Archive oder Bibliotheken zugegriffen werden – ein großer Gewinn zum Beispiel bei der Frage nach der Rolle Hamelns in der Hanse.

Für die Stadthistorikerin Dr. Gesa Snell ist viel zu tun: Unterlagen zur Hamelner Geschichte finden sich nicht nur in Hameln selbst. Im Zweiten Weltkrieg sei viel verloren gegangen oder verstreut worden. Die Recherche werde sich daher auch auf Norddeutschland und das zentrale Bundesarchiv in Berlin erstrecken. Ein weiterer wichtiger Bestandteil dieser anspruchsvollen Aufgabe sei der fachliche Austausch mit anderen Wissenschaftlern und Spezialisten, mit Institutionen und Privatpersonen, die Material oder Wissen zur Stadtgeschichte beisteuern können.

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