Zweifellos ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Hameln. Wieviel er aber konkret bewirkt und wer letztlich profitiert, mit dieser Fragestellung beauftragte die Hameln Marketing und Tourismus (HMT) jüngst einen Gutachter. Seine Zahlen belegen: die Tourismusentwicklung kannte jahrelang nur eine Richtung - nämlich nach oben.
Bis hin zum Rekordjahr 2019 bei Gästeübernachtungen und touristischen Umsätzen. Dann jedoch der Einbruch: 2020 wurde mit Beginn der Corona-Pandemie zum Krisenjahr und verzeichnete einen gewaltigen Einschnitt bei Beherbergungsbetrieben, Gastronomie, allen Freizeitanbietern sowie in der Kultur und im Messegeschäft.
Doch nicht allein der Hamelner Tourismus bekam die Corona-Krise deutlich zu spüren. Konsequenterweise ließ die HMT (in Abstimmung mit der Stadt Hameln) auch die daraus resultierenden finanziellen Auswirkungen für den Standort Hameln analysieren. Das für tourismus-ökonomische Studien führende Institut DWIF Consulting aus München hat die Einbußen analysiert und die Bedeutung des Wirtschaftsfaktors Tourismus für Hameln und die betroffenen Wirtschaftszweige beziffert. DWIF-Chefökonom, Moritz Sporer, stellte die Ergebnisse in einer digitalen Pressekonferenz vor, zu der HMT-Geschäftsführer Harald Wanger und Oberbürgermeister Claudio Griese eingeladen hatten. Der Geschäftsführer des Deutschen Tourismusverbandes (DTV), Norbert Kunz, war als Gast geladen. Er bezog Stellung zu den Gesamtperspektiven für den Restart im Tourismus und gab der Politik Empfehlungen zur zügigen Revitalisierung für die gesamte Branche.
Noch vor Corona – erfreuliche Zahlen für die Erhebung 2019: Das gesamte Gästeaufkommen der Stadt Hameln betrug mehr als 4,55 Mio. Besucher, davon satte 4,1 Mio. Tagesbesucher. Es wurden zudem 452.000 Gästeübernachtungen erfasst, darunter 187.000 im gewerblichen Bereich (überwiegend Hotellerie), sowie zusätzliche 159.000 Übernachtungen bei Privatvermietern und 106.000 auf Camping- und Wohnmobil-Stellplätzen – insgesamt ein Zuwachs von 74 Prozent an Übernachtungen gegenüber der letzten Auswertung 2013. Die Segmente Camping, Wohnmobile und Ferienhäuser erwiesen sich als besonders dynamisch. Die durchschnittlichen Ausgaben pro Besucher und Tag in der Stadt bewegen sich zwischen 25,70 Euro beim Tagesbesucher bis hin zu 129,60 Euro beim Hotelgast.
Die Gesamtausgaben aller Reisen beziffern sich auf 146,6 Mio. Euro brutto. Hauptprofiteure im Tourismus sind das Gastgewerbe (61,3 Mio. Euro) und der Einzelhandel (56 Mio. Euro). „Hier findet auch zusammen mit Schifffahrt, ÖPNV, Taxigewerbe, Stadtführungen die sogenannte erste Umsatzstufe statt“, so Sporer. Doch auch Bäcker, Metzger, Floristen, Caterer und Brauereien als Zulieferer über Handwerk und Baugewerbe bis hin zur Energiewirtschaft sowie Banken und Sparkassen profitiere die heimische Wirtschaft indirekt von den Besucherzahlen. Sie bilden die zweite Umsatzstufe.
Aus erster und zweiter Umsatzstufe leiten sich schließlich 66,8 Mio. Euro netto als „Einkommensbeitrag“ ab. Der Beitrag führe zu einem Beschäftigungseffekt von 2.780 Personen, was einem Plus von 18,8 Prozent zu 2013 entspreche (vormals 2.340 Personen), verdeutlicht Moritz Sporer den Einkommens-Faktor. Schwer zu beziffern sind ohne zusätzliche Expertisen die Steuereinnahmen für die Stadt Hameln. Fest stehe jedoch laut Gutachter, dass von 13,6 Mio. Euro Steuereinnahmen ein Anteil von mind. 1,5 bis maximal 3 Mio. Euro p.a. in den Stadtsäckel zurückfließen.
„Der Tourismusstandort Hameln schaffte über die Jahre anhaltend Wachstum für Hameln. Als Querschnittsbranche trägt er neben der Stärkung des Images zu einer enormen Frequentierung unserer Stadt und einer hohen Auslastung der Betriebe bei“, verdeutlicht Oberbürgermeister Claudio Griese. Die Erhebung zeige daher welch hohe Bedeutung der Wirtschaftszweig habe und wie extrem der Einschnitt seit Beginn der Pandemie für die Betriebe und deren Mitarbeiter sowie die Stadt Hameln insgesamt sei.
Das Corona-Jahr 2020: Nach Untersuchungen des DWIF betrug der Corona-bedingte Umsatzverlust im Tourismus 74,3 Mio. Euro – auf 10 Monate gerechnet sind das unglaubliche 1,7 Mio. Euro wöchentlich, die den Betrieben in Hameln durch das Ausbleiben von Tagesbesuchern und Übernachtungsgästen verloren gingen. Schon die amtliche Übernachtungsstatistik hatte bei den gewerblichen Betrieben einen Rückgang um 51 Prozent gegenüber 2019 ermittelt. Bei den internationalen Übernachtungen sank der Wert in Hameln sogar um 73 Prozent. „In Hameln kommt bisher jede 6. Übernachtung aus dem Ausland - und das fällt zusammen mit dem Gruppen- und MICE-Geschäft gerade weg“, kommentiert HMT-Geschäftsführer Harald Wanger. Eine weitere Erkenntnis sei, dass Hotellerie und Gastgewerbe stark litten, als die Touristen nicht mehr reisen durften. Mit den Einschränkungen bis hin zur Schließung der Gastronomie fehlte dann die Besucherfrequenz in der Altstadt, was wiederum den Einzelhandel mit voller Wucht traf. „Eine symbiotische Beziehung – einer kann nicht ohne den anderen leben“, so Wanger.
Wie geht´s nun weiter?
DWIF-Chefökonom, Moritz Sporer identifizierte folgende Risiken: Kritische Haushaltssituation der Kommunen, betriebswirtschaftliche Situation der Betriebe und Tourismus-Organisationen, drohende Qualitätsdefizite durch Investitionsstau auf betrieblicher und kommunaler Ebene, drohende Personalengpässe und Servicedefizite. Es komme jetzt, so Sporer, auf die Aspekte Sicherheit und transparente Kommunikation an, auf eine bestmögliche Vorbereitung der Besucherströme nach der Öffnung, gepaart mit möglichst einheitlichen Stufenplänen für den Restart in Deutschland insgesamt.
DTV-Geschäftsführer Norbert Kunz lobte die für nächste Woche ins Auge gefassten Lockerungen: „Niedersachsen, Bayern, Schleswig-Holstein machen Nägel mit Köpfen und zeigen, dass Tourismus bei einer stabilen Inzidenz unter 100 wieder sicher starten kann. Wir gehen davon aus, dass weitere Bundesländer schnell folgen werden – wie Thüringen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Nach sechs Monaten Stillstand werden endlich wieder touristische Beherbergungen möglich. Diese Entscheidung ist bundesweit überfällig. Darauf hat die Branche lange gewartet und zu Recht Perspektiven gefordert. Dem Beispiel aus Niedersachsen und Bayern sollten jetzt zügig die anderen Länder folgen und sich untereinander abstimmen. Wenn das klappt, steht einem sicheren Deutschlandurlaub spätestens im Sommer nichts mehr im Wege.“
Es zeichne sich ab, dass die Saison 2021 trotzdem nur verzögert starten kann, was nicht nur den gesamten Tourismusstandort inklusive Einzelhandel weiter trifft, sondern auch sozio-ökonomische Auswirkungen habe, so Oberbürgermeister Griese. Diese Schäden könnten kaum beziffert werden. Eines sei aber klar, erklären Griese und Wanger unisono: „Hier kommen wir langfristig nur mit vereinten Kräften aus der Krise – das beschlossene Maßnahmenpapier zur Belebung der Innenstadt durch den Rat der Stadt Hameln mit einem Fördervolumen von 1,2 Mio. Euro ist dabei ein erster ganz wichtiger Anfang.
„In diesem Zusammenhang kommt auf die Tochtergesellschaft HMT einiges an Verantwortung zu. Das Stadtmarketing koordiniert derzeit sämtliche Aktivitäten zur Revitalisierung“, so Wanger. „Um zur alten Stärke zurückzukommen, müssen wir aber insgesamt wieder aus der Kurzarbeit raus und neben den städtischen Zuschüssen unsere weggefallenen Geschäftsfelder im Tourismus reaktivieren.“ So habe die HMT allein im letzten Jahr rund 1,5 Mio. Euro brutto an Umsatzerlösen verloren. Es habe sich leider bewahrheitet, dass gerade kommunale GmbHs mit hoher Refinanzierungsquote besonders betroffen seien, so Harald Wanger.
Zur inhaltlichen Ausrichtung: Im Produkt- und Vertriebsbereich erarbeitet die HMT derzeit neue Konzepte und Angebote zum Individualtourismus. Zudem wird ein attraktiver Erlebnisshop mit online-Buchbarkeit und Bezahlfunktion bis Ende Juni installiert–für Individualgäste, die jetzt im Fokus stehen.
Norbert Kunz bestätigt die Ausrichtung: „Den klassischen Gruppentourismus inklusive Auslandstourismus, wie wir ihn über Jahrzehnte kannten, baut sich aufgrund der anhaltenden Einschränkungen, bei uns und im Ausland, erst sukzessive wieder auf und bringt einen veränderten Anspruch im Reiseverhalten mit sich.“ Neben dem Wunsch nach nachhaltigem Reisen habe der Aspekt der Sicherheit am Reiseziel Priorität. Es sei erkennbar, dass neben den aktuell bedingten Schwierigkeiten, auch eine Chance für die Branche, sich „neu“ zu positionieren, so Kunz.